Es gibt viele Menschen, die wir gerne als Tollpatsch bezeichnen, weil sie scheinbar jede Ecke und jede Kante mitnehmen, an der sie vorbeigehen. Sie stoßen sich, sie laufen gegen eine Tür, übersehen die Stufe und stolpern… Sie selbst lächeln meist über ihr eigenes Ungeschick und nennen sich Tollpatsch. Viellicht kennst du es selbst, dass dir irgendwie die Orientierung im Raum fehlt oder die Koordination deines eigenen Körpers.
Dann gibt es Menschen, denen es sehr schwerfällt, sich selbst zu spüren oder ihre eignen Bedürfnisse wahrzunehmen. Wenn dein Körper sich meldet über innere Unruhe, Verspannung, Herzklopfen, kannst du hinein spüren und fühlen, was dein Körper dir versucht zu sagen? Wenn dich jemand nach deinen Wünschen oder Bedürfnissen fragt, hast du eine Antwort?
Wir Menschen haben fünf Sinne (Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Sehen), die uns alle sehr vertraut sind und absolut wichtig. Doch darüber hinaus gibt es weitere Sinne: den sechsten (Propriozeption) & siebten Sinn (Interozeption), die auch als „Körpersinn“ bezeichnet werden.
Propriozeption gibt uns Information darüber, wo unser Körper sich im Raum befindet und bewegt und wie die Körperteile sich zu einander verhalten. Ohne den sechsten Sinn könnten wir weder Fahrrad fahren, noch Sport treiben oder uns im Dunkeln zurechtfinden, noch die Gabel zum Mund bewegen.
Blinde Menschen haben einen stark ausgeprägte sechsten Sinn, mit dem sie sich in ihrer Umwelt orientieren.
Interozeption ist alles, was wir im Körper fühlen. Bist du hungrig? Bist du müde? Ist dir kalt oder heiß? Wenn du ein Gefühl für diese Bedürfnisse hast, dann triffst du intuitiv (und meist unbewusst) der Situaton entsprechend angemessene Entscheidungen, um Ausgleich zu finden: du isst etwas, ziehst dir etwas Warmes an, schläfst ect. du hast ein Gefühl für dich und deinen Körper. Es gibt hier aber noch eine weitere Ebene. Es ist diese gewisse Vorahnung, die wir haben, bevor das Ereignis tatsächlich eintritt, eine Empfindung, die wir nicht in Worte fassen können. Es ist eine Verbindung Gefühl, Achtsamkeit und Intuition.
Stell dir deine Sinne wir Radiokanäle vor, die du einstellst.
Wir haben unseren fünf Sinnen so viel Gewicht gegeben, dass wir nur glauben, was wir sehen können.
Dabei vergessen wir, dass wir weit mehr als diese fünf Sinne haben. Und nicht nur das, wir leugnen oder misstrauen dem, was wir fühlen und geraten dabei oft in einen inneren Konflikt.
In dem Film „Stadt der Engel“ gibt es diese wundervolle Szene, in der Nicholas Cage als Engel die Hand von Meg Ryan, einer sehr erfolgreiche Ärztin, nimmt. Sie traut seiner Existenz nicht, weil sie ihn nicht sehen kann, kann ihm aber durchaus fühlen. Sie ist irritiert und möchte wissen, wie sie sicher kann, dass er wirklich existiert und nicht nur eine Einbildung ist. Er streicht mit seinem Finger über ihre Handfläche und fragt: „Fühlst du das?“ Sie: „Ja.“ Er:„ Du weißt es, weil du es fühlst.“
Viele Studien weisen darauf hin, dass eine schwache Interozeption im Zusammenhang mit Ängsten, Depressionen und Panikattacken steht. Selbst – Bewußtsein hat, wie der Name schon sagt, damit etwas zu tun. Es läßt sich auf jeden Fall nachvollziehen, dass wir uns sicherer fühlen, je mehr wir ein Gefühl für uns selbst und den Raum um uns herum haben.
Schnelle, hektische Bewegungen können die Fitness unterstützen, helfen aber nicht, um die Wahrnehmung und Sinne zu stärken. Wenn wir die Beziehung mit uns und unserem Körper verbessern wollen, ist es notwendig, auf das Feedback unseres Körpers zu lauschen. Viele von uns haben die Sprache des eigenen Körpers verlernt, indem wir ihm klar gezeigt haben, wer hier der Boss ist und das seine Bedürfnisse und Informationen nichts zur Sache tun. Noch viel wichtiger ist, dass wir mit anderen Menschen so umgehen wie wir mit uns und unserem Körper umgehen. Alles geht Hand in Hand. Je mehr wir eine gesunde Beziehung mit uns und unserem Körper entwickeln, desto mehr wird sich auch die Qualität unserer Beziehungen zu anderen und zur Welt verbessern.
Wenn du im Yoga nur von einer Asana in die nächste stoplerst, dich mit Gewalt hineinzerrst oder einfach in Dehnungen/Vorbeugen kollabierst, dann wird keiner dieser Sinne gestärkt oder trainiert.
Wenn du nur über die Grenzen/ Bedürfnisse ( Schmerz, Erschöpfung ect.) des Körper hinübergehst, dann wiederholst du das, was du bereits im Alltag machst.
Stärke deinen Körpersinn durch Yoga
- Langsame, achtsame Bewegungen. Gib dir die Chance, dich und deinen Körper in der Bewegung zu spüren.
- Unterbreche Routinen. Routinen sind wichtig, wenn wir bestimmte Dinge erlernen wollen. Aber sie mindern unsere Fähigkeit zu fühlen, weil das Gehirn bereits weiß, was kommt. Neuheiten und Vielfältigkeit halten unsere Aufmerksamkeit wach.
- Überrasche Dich selbst. Die Praxis biete verschiedene Bewegungen von einem aufrechten Stand über Drehnungen und auf einem Bein oder Arm balancieren bis kopfüber hängen. Finde immer mal wieder neue Wege in eine Position zu kommen, beginne mit links, statt mit rechts, nimm deinen Kopf in eine andere Richtung. So lernt dein Körper sich unterschiedlichen Situationen flexibel anzupassen.
- Spiel mit dem Tempo. Wechsel ab und zu zwischen sehr langsamen Bewegungen und schnellen Bewegungen und bleibe dabei achtsam. Mach große Bewegungen und kleine, feine Bewegungen, die kaum sichtbar sind.
- Wechsle den Focus zwischen Details und dem gesamten Körper. Konzentriere dich auf einzelne Körperteile und spüre sie so konkret du kannst, z.B. deine Sitzhöcker im Schneidersitz. Integriere immer auch Positionen, die sich auf den ganzen Körper konzentrieren. Balance Positionen (z.B. der Baum oder der Seitstütz) sind perfekt, um die gesamte Matrix aufzuwecken.
- Bring Sanftmut in deine Praxis. Viele Menschen halten enorm viel Spannung in ihrem Nervensystem. Sanfte Bewegungen helfen nicht nur, die Spannung zu lösen, sondern sie fördern die Fähigkeit, nach Innen zu lauschen. Sanfte Bewegung heißt nicht, sich nur auf dem Boden zu rollen. Die Kunst liegt darin, der kraftvollen Position (z.B. Krieger) mit einer inneren Haltung von Sanftmut zu begegnen, die sich auch in der Qualität des Atems wiederspiegelt. Wenn der Atem gepresst wird und Du wie Darth Vader klingst, kannst du sicher sein, dass du den Sanftmut verloren hast.
- Integriere Zeiten der Stille & Reflexion. Momente der Stille geben dir die Möglichkeit, dem Echo der Bewegung oder Position zu lauschen. Du kannst z.B. in asymmetrischen Bewegungen, beide Seiten vergleichen. Frag dich immer mal wieder: was spüre und fühle ich gerade? Wie ist die Qualität meines Atems? Bringe deinen Focus v.a. auf die subtileren Empfindungen wie ein Kribbeln, ein Gefühl von Weite, ein inneres Fließen, ein Pulsieren. All das ist Ausdruck deiner Lebensenergie. Es sollte diese Momente schon während deiner Praxis geben. Savasana ist die große Endetnspannung und eine der wichtigsten Posen, da hier alles integriert wird und die Erfahrungen sich setzen dürfen.
Dein Körper besitzt eine tiefe Weisheit, die weit über dein intellektuelles Wissen hinausgeht. Je mehr du deinen Körper öffnest, desto mehr Zugang wirst du zu dieser Weisheit finden. Plötzlich können in dir Antworten über eine Frage auftauchen, über die du dir seit Tagen den Kopf zerbrochen hast.